Erste Programmdetails für die nächste Festivalausgabe // Symposium Decolonizing the (Post-) Soviet Screen // goEast kooperiert mit dem European Film Market der Berlinale // East-West Talent Lab

Wiesbaden/Frankfurt, 07. Februar 2023

Zum 23. Mal bringt goEast – Festival des mittel – und osteuropäischen Films ein vielfältiges Programm aus Filmvorführungen und Begleitveranstaltungen nach Wiesbaden und in die Rhein-Main-Region. Das vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum veranstaltete Festival versteht sich als Fenster und kontinuierlicher Brückenbauer in Richtung Mittel- und Osteuropa. Traditionell hat goEast sich dabei stets intensiv mit der gegenwärtigen politischen und kulturellen Situation in der Region beschäftigt.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bildet eine historische Zäsur und stellt das auf Mittel- und Osteuropa spezialisierte Filmfestival vor große Herausforderungen: Die Solidarität im goEast-Team gilt nach wie vor den Menschen in der Ukraine: „In Gedanken sind wir ununterbrochen bei unseren von der russischen Aggression betroffenen Kolleg:innen, Freund:innen und Verwandten“, so Heleen Gerritsen, Leiterin des Festivals.

„Gleichzeitig motiviert die Lage uns mehr denn je, die in den deutschen Kinos unterrepräsentierten Filmkulturen unserer Zielregion in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit zu präsentieren.“

goEast lädt vom 26. April bis 02. Mai 2023 in Wiesbaden dazu ein, das mittel- und osteuropäische Kino in Filmvorführungen, -Gesprächen und bei Begegnungen mit Filmschaffenden kennenzulernen.

Symposium: Decolonizing the (Post-) Soviet Screen
Im Symposium beschäftigt sich goEast traditionell mit Themen, Regionen und Strömungen im mittel- und osteuropäischen Kino. Als Teil der Cinema Archipelago Reihe wird das Programm 2023 vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain unterstützt.
Das Sichtbarmachen und Verstärken von neuen, bisher marginalisierten filmischen Sprachen und Stimmen aus Mittel- und Osteuropa jenseits von dominanten Mainstreamnarrativen gehört seit dem Entstehungsjahr des goEast Filmfestivals 2001 zu dessen Hauptaufgaben. In dieser Hinsicht ist der diesjährige Fokus auf das (post)sowjetische Kino durch die „de-kolonialisierende Linse“ kein gänzliches Novum. Wie viele andere Kulturinstitutionen, die sich mit dem mittel- und osteuropäischen Raum beschäftigen, hat jedoch auch das goEast-Team festgestellt, dass es Russland traditionell mehr als anderen Ländern der Zielregion eine dominante Position in seinem Festival-Programmen einräumt. Die Verschiebung und Umverteilung der Aufmerksamkeit wird
zur wichtigen kuratorischen Aufgabe. Der Dekolonialisierungsbegriff wird in einem osteuropäischen Kontext oft mit Skepsis begrüßt – es sei eine westliche Modeerscheinung, die mit Wokeness und Cancel Culture einhergeht. Zu beachten ist, dass die spezifische Form des sowjetischen/russischen Kolonialismus, von der die
Rede sein wird, wichtige Unterschiede zu anderen europäischen Kolonialmächten aufweist – nicht zuletzt im Filmwesen: Die sowjetische Kulturpolitik sorgte in den Republiken mit dem Aufbau von Filmstudios und Infrastrukturen für ein lokales Empowerment der ‚anderen Nationalitäten‘, das gleichwohl zentralistisch organisiert war und über das die russische Sprache als lingua franca lief.
Dennoch ist die „dekolonialisierende Linse“ ein brauchbares Werkzeug für die Analyse einer Region im Umbruch, und das Festivalteam erinnert sich, wie der Begriff „Feminismus“ in einem osteuropäischen Kontext beim Symposium „Feminismus wider Willen“ im Jahr 2017 genauso auf Widerstand und Unverständnis stieß, dann aber bald Zuspruch bekam.

Einreichungen bis zum 01. März

Die Kuratorinnen Barbara Wurm und Heleen Gerritsen nehmen, unterstützt von Koryphäen der Filmwissenschaft, sowie Filmemacher:innen wie Prof. Nancy Condee, Ivan Kozlenko, Dita Rietuma, Daria Badior, Igor Soukmanov, Oleksiy Radinsky, Valentyn Vasyanovych und Davra Collective, die historische Zäsur, die Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine darstellt, zum Ausgangspunkt, über einige wichtige Aspekte der institutionellen und politischen Verstrickung der nicht-russischen Filmkulturen – allen voran der ukrainischen – mit dem einstigen Machtzentrum nachzudenken.

Innerhalb des Symposiums werden diese Themen filmhistorisch, politisch und soziologisch aufgearbeitet. Dazu werden Vortragende aus dem akademischen Bereich und aus der filmischen Praxis eingeladen. Im Rahmen des Symposiums der 23. Ausgabe von goEast unter dem Titel „Decolonizing the (post-)soviet Screen“ soll auch eine Spezialausgabe von Apparatus. Film, Media and Digital Cultures of Central and Eastern Europe entstehen. Beiträge, die darauf zielen, das Dekolonialisierungskonzept im Kontext des (post)sowjetischen Raumes (einschließlich Zentralasien, Ukraine, Belarus, Baltikum, Kaukasus, Russland und dessen autonome Regionen) anzuwenden, können bis zum 1. März eingereicht werden.

goEast kooperiert mit dem European Film Market der Berlinale
Das Symposiumsthema stößt bereits in der Vorbereitung auf viel Resonanz, und wurde auch bei dem European Film Market der Berlinale aufgegriffen. Am 20. Februar 2023 findet in Kooperation mit goEast das Panelgespräch „A New Reality: Decolonising the Post-Soviet Screen“ statt, bei welchem goEast-Festivalleiterin Heleen Gerritsen mit Repräsentantinnen der Filmindustrie aus Georgien, Lettland, Tadschikistan und der Ukraine, sowie mit Simone Baumann von German Films, ins Gespräch kommt. Der Talk wird untersuchen, wie die neusten Realitäten des postsowjetischen Raums auf der Leinwand vermittelt und dargestellt werden, und ihrer ästhetischen, filmhistorischen, politischen und soziologischen Bedeutung für die Filmindustrie und das Publikum in einem internationalen Kontext auf den Grund gehen.

Veranstltungsort: Dokumentationszentrum für Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Stresemannstraße 90,
10963 Berlin
20. Februar 2023, 15:15 Uhr
Freier Eintritt mit EFM Market Badge

Nachwuchs ohne Grenzen: East-West Talent Lab
Auch dieses Jahr unterstützt goEast Filmschaffende und Nachwuchstalente aus Mittel- und Osteuropa und vernetzt sie mit Gleichgesinnten aus Deutschland. Erneut fokussiert das von Andrea Wink geleitete Programm sich auf dokumentarische Formate. Filmschaffende aus Mittel und Osteuropa können ihre Projektideen in Entwicklung bis zum 28. Februar 2023 einreichen. Auch Produzent:innen ohne Projekt aus Mittel- und Osteuropa sowie aus Deutschland können sich zur Teilnahme am East-West Talent Lab bewerben.

Bildmaterial finden Sie in unserem Downloadbereich.

Diskutiert wird über eine Vielfalt an Themen: das ukrainische Kino der Vergangenheit und Zukunft; die Spuren des Imperialen im ‚nicht-russischen Russland‘, etwa in der Republik Sacha oder im Nordkaukasus, die Filmfestivallandschaft jenseits von Moskau – von Minsk bis Taschkent (damals und heute); das filmische und filmkulturelle Erbe der UdSSR – von Kyjiw und Riga über Tbilissi und Jerewan zurück bis Wiesbaden und die Debatte über den Umgang mit Kanon und Klassikern; die Frage des sowjetischen Antikolonialismus; die Frage, wer die Rechte und Kopien von sowjetischen Filmen nicht-russischer Produktionen besitzt; das kulturelle und nationale Gedächtnis alternativer, nicht-staatlicher Film- und Foto-Archive; das dokumentarische Kino als Ort der Reflexion dessen, was sowjetisch und post-sowjetisch bedeutet hat und heute bedeuten kann.

Das komplette Programm für die 23. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films wird im April veröffentlicht.

goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films wird vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum veranstaltet und von zahlreichen Partnern unterstützt. Hauptförderer sind die HessenFilm und Medien GmbH, die Landeshauptstadt Wiesbaden, der Kulturfonds Frankfurt RheinMain, die Filmfestivalförderung des Goethe-Instituts in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, die Central and Eastern European Online Library GmbH / CEEOL. Hauptmedienpartner sind 3sat, Deutschlandfunk Kultur und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.