Wiesbaden/Frankfurt, 27 Februar 2023
Jasmila Žbanić im goEast Porträt
Jedes Jahr stellt goEast das Oeuvre namhafter osteuropäischer Filmschaffender bei einer umfassenden Retrospektive in den Mittelpunkt. Abwechselnd widmet das Festival sich dabei Altmeister:innen und Filmschaffenden, die sich mitten in ihrer Karriere befinden. Nach der Hommage an Lana Gogoberidze im vergangenen Jahr, widmet sich das Porträt 2023 Jasmila Žbanić, womit sich im Fokus des Festivals eine Linie starker Frauen aus Mittel- und Osteuropa fortsetzt. Jasmila Žbanić gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Filmschaffenden Bosnien und Herzegowinas und feierte zuletzt mit dem Europäischen Filmpreis für QUO VADIS, AIDA? (2020) einen großen internationalen Erfolg.
1974 in Sarajevo geboren und an der Akademie der Künste Sarajevo ausgebildet, gründete die bosnische Regisseurin 1997 das Künstler:innenkollektiv „Deblokada“, das bis heute auch ihre Filme produziert. Der Name ist in Anlehnung an die Belagerung Sarajevos in den 1990er Jahren entstanden. Nach der Befreiung der Stadt waren die Nachwirkungen des Krieges in Gestalt verschiedener politischer, wirtschaftlicher und psychologischer Blockaden weiterhin zu spüren. Sie prägen die Gesellschaft Bosnien und Herzegowinas bis heute.
Diese verarbeitet auch Jasmila Žbanić filmisch. Mit ihrer Videokunst und Dokumentarfilmen war sie bereits 2004 auf der Documenta in Kassel zu sehen. In ihren zahlreichen, international preisgekrönten Filmen verarbeitet die bosnische Regisseurin traumatische Ereignisse und persönliche Erfahrungen der Folgen des Bosnienkrieges. Dieser Krieg, inzwischen im Westen Europas fast vergessen, ist ein immer wiederkehrendes Thema in den Filmen Žbanićs. Ihr Langfilmdebüt GRBAVICA (2006) gewann bei den Filmfestspielen in Berlin 2006 den Goldenen Bären. Der Film behandelt die systematischen Vergewaltigungen von Frauen als Kriegsmittel, und stieß damit in ihrer Heimat eine politische Diskussion an. Der Blick auf die Ukraine zeigt, dass das Thema bis heute nicht an Relevanz verloren hat.
Jasmila Žbanićs kritische Auseinandersetzung mit essenziellen gesellschaftspolitischen Themen zieht sich wie ein roter Faden durch ihr filmisches Schaffen. So beschäftigte sich QUO VADIS, AIDA? (2020) mit dem Massaker von Srebrenica. Zu ihren Filmen zählen aber auch weniger dramatische Werke wie die Komödie LOVE ISLAND (2014). Mit Verwunderung beantwortete sie die Frage, wieso sie ein Film mache, der sich nicht mit Krieg und seinen Folgen befasst, sie mache dann etwas, wenn sie etwas zu einem Thema zu sagen hat und nicht, wenn es von ihr erwartet wird. Nach dem Erfolg beim Europäischen Filmpreis wurde sie in den Vereinigten Staaten auch als Regisseurin für Serien engagiert, zuletzt etwa für die Videospielverfilmung THE LAST OF US (2022).
goEast freut sich darauf, Jasmila Žbanić im April persönlich in Wiesbaden zu begrüßen. Die Kuratorin und Filmwissenschaftlerin Borjana Gaković wird das Werkstattgespräch mit der Regisseurin führen. Die umfassende Retrospektive zeigt neben den Spielfilmen auch Dokumentarfilme und kürzere Werke Žbanićs.